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In den USA schlägt ein Buch hohe Wellen, das Weisse als Rassisten definiert und eine Umerziehung fordert. Dabei hilft die Autorin Robin diAngelo.
Marc Neumann
4 min
Die «Washington Post» jubelte: «Liebe Weisse, bitte lest dieses Buch». Für den Autor Matt Taibbi dagegen war es «womöglich das dümmste Buch, das je geschrieben wurde». Die Rede ist von Robin DiAngelos US-Bestseller «White Fragility».
Die Autorin hat im Fach multikulturelle Erziehung promoviert und bietet seit zwei Jahrzehnten antirassistische Sensibilisierungstrainings an. Ihr Buch ist bereits zwei Jahre alt, es stürmte aber erst nach den jüngsten Protesten gegen Polizeigewalt und für «Black Lives Matter» an die Spitze der Bestsellerlisten.
Heute gehört DiAngelos Forderung zum guten Ton: Weisse in den USA (und sonst wo) sollen sich ihrer Privilegien und verinnerlichten Vorurteile gegenüber Menschen anderer Herkunft und Hautfarbe bewusst werden und sich umerziehen.
Welt in Schwarz-Weiss
So gut gemeint die Parole sein mag, so schwierig ist die Argumentation. So behauptet DiAngelo: «Weisse Identität ist inhärent rassistisch.» Als Antirassistin versuche sie daher, «weniger weiss zu sein». Was das heisst, ist unklar. Bräunungsmittel und Solarien sind keine Antwort.
Zwar setzt umgekehrt manch dunkelhäutiger Mensch Bleichmittel ein, um hellhäutiger, das heisst weniger Rassismus-anfällig zu sein. Aber das zementiert rassistische Denkmuster. Für DiAngelo bedeutet «weniger weiss» einfach den «Bruch mit weisser Solidarität und dem Komfort des weissen Privilegs» in einer Rassenhierarchie. Dummerweise bleibt diese dabei intakt: Denn DiAngelos Welt ist schön binär unterteilt in Weisse und andere, die «People of Color».
Letztere, also die US-Zensus-Kategorien Afroamerikanisch, Asiatisch, Ureinwohner, Hawaiianisch/Pazifisch, «gemischtrassische» und die als Sprachgruppe klassifizierten hispanischen Mitmenschen bleiben im Buch aussen vor.
Denn aus der selbstkritischen Warte einer weissen Privilegiertheit ziemt es sich nicht, über andere zu sprechen. Stattdessen wendet sich DiAngelo aus ihrer «weissen Identität» an ein «weisses Publikum». DiAngelo bezeichnet diesen Fokus zu Recht als unentrinnbares «Dilemma».
Also stellt die Autorin innerhalb ihrer weissen Blase fest: «Versuchen wir [Weisse] offen und ehrlich über Rasse zu reden, schlägt uns oft Schweigen, Abwehrverhalten und anderer Widerstand entgegen.» Dieses Phänomen nennt DiAngelo «weisse Zerbrechlichkeit», eine Form von Rassismus, die auf verinnerlichten, unbewussten Vorurteilen gegen «People of Color» beruht und wie ein Schuld-Trauma funktioniert.
DiAngelos Produkte verkaufen sich gut: «White Fragility» wurde allein in diesem Jahr in den USA rund eine halbe Million Mal gekauft.
Nehmen wir an, jemand wirft mir vor, Rassist zu sein. Entweder ich stimme zu und senke schuldbewusst mein aschebestreutes Haupt. Oder ich widerspreche betupft und liefere DiAngelo mit meinem Widerstand den Beweis für meine weisse Fragilität.
Da mein Weisssein per definitionem rassistisch ist, ist mein Aufbegehren gegen den Vorwurf des Rassismus eine Reaktion gegen mein Trauma. So oder so wird mir Rassismus als Teil meiner Identität attestiert. Damit stempelt DiAngelo jeden Weissen zum Rassisten. Helfen kann da nur eine antirassistische Therapie und ihr Buch.
Dass DiAngelo vor lauter Weisssein andere Farbschattierungen aus dem Auge verliert, zeigt sich beispielsweise an ihrem Umgang mit dem Thema Farbenblindheit. Darunter versteht sie die Haltung von liberalen Weissen, die behaupten, Menschen nicht durch das rassistische Prisma der Hautfarbe zu sehen.
Für DiAngelo sind solche Aussagen Ausreden, also eine Spielart der «White Fragility». Wer sich so aus der Verantwortung zu stehlen versucht, bleibt erst recht seinen rassistischen Vorurteilen verhaftet.
Martin Luther King beschuldigt
Eine solche Argumentation ist in vieler Hinsicht problematisch. So kritisiert DiAngelo etwa im Einklang mit ihrer Lehre der Farbenblindheit Martin Luther King.
Als dieser nämlich in seiner berühmten Rede «I had a dream» davon träumte, eines Tages «aufgrund seines Charakters und nicht seiner Hautfarbe» beurteilt zu werden, drückte er für DiAngelo weniger ein zukünftiges Ideal des friedlichen Miteinanders verschiedener Rassen aus. Vielmehr leistete er der weissen Zerbrechlichkeit Vorschub. Denn er lieferte seinen weissen Fans auf dem Silbertablett Farbenblindheit als Vorwand, rassistische Haltungen zu ignorieren.
Das ist nicht die einzige Geschichtsklitterung DiAngelos. In ihrem Buch wimmelt es von ähnlich fragwürdigen Beispielen. Das Leitmotiv bleibt dabei stets dasselbe: DiAngelo hält weissen, privilegierten Individuen einen vermeintlich selbstkritischen Spiegel vor, worin sich diese erkennen und schämen sollen.
Aber mehr als ein masochistisches Trostpflästerchen, ein selbstgerechtes, antirassistisches Wohlfühlmoment für komplizierte Weisse kommt dabei nicht heraus. Ausser vielleicht für jene, denen DiAngelos Buch und Sensibilitätstraining als antirassistisches Feigenblatt dienen.
Unternehmen etwa hilft es beim Vorwurf, sich bei Gehältern und Promotionen diskriminierend zu verhalten, als antirassistische Trumpfkarte. Kein Wunder, verkaufen sich DiAngelos Produkte wunderbar: «White Fragility» wurde allein in diesem Jahr in den USA rund eine halbe Million Mal gekauft. Schon vor einem Jahr kassierte die seither ausgebuchte Diversity-Trainerin 12 000 Dollar für ein zweistündiges Seminar an der University of Kentucky.
Dumm, wie Matt Taibbi meinte, ist das nicht, eher geschäftstüchtig. Und angesichts der Demografie diesseits des Atlantiks wird DiAngelos Fixierung auf Weissheit wohl auch die weisse Leserschaft auf Europas Märkten in ihren Bann schlagen.
Robin DiAngelo: «Wir müssen über Rassismus sprechen: Was es bedeutet, in unserer Gesellschaft weiss zu sein». Hoffmann und Campe, 224 S., Fr. 32.90. Ab 16. 7.
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